eBook1. Auflage (1. Auflage)
Available on Compatible NOOK devices, the free NOOK App and in My Digital Library.
Related collections and offers
Overview
Product Details
ISBN-13: | 9783841211408 |
---|---|
Publisher: | Aufbau Digital |
Publication date: | 01/19/2017 |
Series: | Die Ostpreußen Saga , #1 |
Sold by: | Libreka GmbH |
Format: | eBook |
Pages: | 512 |
Sales rank: | 1,280,425 |
File size: | 3 MB |
Language: | German |
About the Author
Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld. Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Romane „Die Seidenmagd“, „Die Heilerin“, „Die Frau des Seidenwebers“ und „Das Lied der Störche“, die Australien-Saga „Die Australierin“, „Die australischen Schwestern“ und „Das Versprechen der australischen Schwestern“ sowie die Ostreußen-Saga „Das Lied der Störche“ und „Die Jahres der Schwalben“ vor. Außerdem erschienen ihre Eifel-Thriller „Echo des Todes“ und „Lohn des Todes“. Mehr Informationen zur Autorin unter www.ulrikerenk.de
Read an Excerpt
Das Lied der Störche
Roman
By Ulrike Renk
Aufbau Digital
Copyright © 2017 Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinAll rights reserved.
ISBN: 978-3-8412-1140-8
CHAPTER 1
In der Nacht, in der Frederikes Stiefvater starb, hatte das Wolfsrudel auf dem Nachbargut geheult. An diese Nacht erinnerte sie sich auch jetzt noch – sechs Jahre später.
Hektor hatte mit gesträubtem Nackenfell an der Tür gelauert und geknurrt. Sie hatte den jungen Hund zu sich ins Bett genommen, ihn an sich gedrückt. Hektor hatte sich augenblicklich beruhigt und damit auch sie. Damals waren sie nur zu Besuch auf dem Gut der Familie ihres Stiefvaters gewesen. Ab heute sollte das Gut der von Fennhusens offiziell ihr Zuhause werden.
Hektor lag in der Sonne auf dem Hof und schien das hektische Treiben um sich herum nicht wahrzunehmen. Ob es die Wölfe auf dem Nachbargut noch gab? Und lebte das Rudel immer noch in dem großen Gehege im Wald?, dachte Frederike, während sie sich auf der Eingangstreppe in die Sonne setzte.
»Träumst du, Freddy?« Leni, die Dienstmagd, die einen Korb voll frischer Tischwäsche trug, stupste sie an. »Du kannst helfen, es gibt alle Hände voll zu tun.«
Langsam stand Frederike auf, strich den Rock glatt und ging ins Haus. Hektor sprang auf und folgte ihr. Ihre Mutter flatterte wie ein aufgeregter Kanarienvogel, vor dessen Käfig eine Katze hockt, durch die Diele, in die immer mehr Koffer und Kisten gebracht wurden.
»Vorsicht«, rief die Mutter. »Das ist mein gutes Porzellan, die Aussteuer meiner ersten Ehe.«
»Ja, Gnädigste«, brummte der Knecht und stellte die Kiste unsanft zu Boden. Die Mutter seufzte auf. »Wo sind deine Geschwister, Freddy?« Frederike zuckte mit den Achseln. »Geh sie suchen und pass auf sie auf. Die Mädchen haben genug zu tun und können sich nicht auch noch um euch kümmern. Und der Hund hat im Haus nichts verloren.« Miteiner ungeduldigen Handbewegung scheuchte sie ihre älteste Tochter davon.
Ich bin doch kein Huhn, dachte Frederike empört und schaute sich suchend um. Wo mochten Fritz und Gerta sein? Dicht gefolgt von Hektor ging sie durch das Gartenzimmer auf den Hof.
Sie, Frederike, stammte, genau wie das Porzellan, aus der ersten Ehe ihrer Mutter. Ihren leiblichen Vater hatte sie nie kennengelernt. Als junges Mädchen hatte ihre Mutter Fred von Weidenfels geehelicht und erwartete schon bald ein Kind. Drei Monate vor Frederikes Geburt war ihr Vater auf die Jagd geritten, verfolgte mit erhobenem Kopf den Flug der Falken, statt auf den Weg zu achten. So brach sich nicht nur sein Pferd, sondern auch er den Hals.
Ihre Mutter tröstete sich schon bald in den Armen Egberts von Fennhusen, heiratete ihn nach einer angemessenen, aber sehr kurzen Trauerzeit und gebar zwei weitere Kinder, Fritz und Gerta. Doch Egbert starb in den ersten Tagen des großen Krieges, der ganz Europa verwüstete.
Jetzt, drei Jahre nach Kriegsende, hatte die Mutter schließlich den dritten Versuch gewagt. Ihr Name änderte sich indes nicht, sie blieb eine von Fennhusen, denn ihr dritter Mann war der Vetter ihres zweiten Gatten. Ihm gehörte das Gut der Familie, das so weit im Osten lag, dass es fast einer Weltreise gleichkam, hierherzureisen. Mit dem Zug von Berlin, zweimal umsteigen und schließlich mit Kutschen und Karren über holperige Wege, die im Frühjahr zu Schlammbahnen wurden.
Es ist eine Strafe, dachte die elfjährige Frederike, hier wohnen zu müssen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Ihr Halbbruder Fritz, der gerade neun geworden war, schien das anders zu sehen. Er hatte sich Schuhe und Strümpfe ausgezogen und stand bis zu den Knien im Teich hinter dem Haus.
»Freddy, schau mal«, rief er begeistert. »Hier gibt es Fische. Und einen Salamander habe ich auch schon gesehen. Und in den Wiesen klappern die Störche.«
»Bei dir klappert wohl auch was. Du wirst dich schmutzig machen.« Frederike rümpfte die Nase. »Und wenn du nicht aufpasst, fällst du in die Brühe, dann setzt es bestimmt was.«
»Und wenn schon. Mutter wird es nicht bemerken, sie ist viel zu beschäftigt mit ihren Kisten.« Fritz grinste. »Der Hauslehrer kommt auch erst in ein paar Tagen.«
Frederike sah sich um. »Wo ist Gerta?«
Fritz zuckte nur mit den Achseln und stocherte mit einem Ast im Schlamm. Hinter dem Haus befand sich der Ziergarten mit der Terrasse, dem sanft abfallenden Rasen bis hin zum Teich, der von großen Weiden überschattet wurde. Dahinter schloss sich der Nutzgarten an, neben dem die Stallungen waren. Die Türen standen weit auf, Schwärme von Mücken hoben und senkten sich wie eine Wolke im Sonnenlicht. Frederike ging zum Stall, schaute in den ersten Gang. Es roch süßlich nach Pferden und es duftete nach Heu. Gerta saß auf einem Strohballen und hielt ein Kätzchen in den Armen.
»Schau mal«, sagte sie zu ihrer Schwester. »Da sind noch welche, dort in der Ecke. Sie sind so weich. Ob Onkel Erik mich eins haben lässt?«
»Willst du es etwa mit ins Haus nehmen?« Frederike lachte und setzte sich zu ihr auf den Strohballen.
Gerta nickte. »Du hast doch Hektor und Fritz hat seinen Arco. Warum sollte ich nicht auch ein Tier haben?«
»Aber eine Katze? Die gehören in die Stallungen oder den Keller, im Haus fühlen sie sich nicht wohl.«
»Gräfin zu Steinfels hat zwei Katzen in ihrer Wohnung in Berlin.« Gerta streckte trotzig das Kinn nach vorne.
»Das sind aber Zuchtkatzen. Und diese hier sollen Mäuse fangen.« Frederike seufzte. »Davon wird es hier genügend geben.«
»Ich will aber ein Kätzchen. Ob Onkel Erik es mir erlaubt?«
»Er bestimmt, aber die Mamsell wird es nicht zulassen. Willst du es etwa an der Leine führen?« Frederike kicherte leise bei der Vorstellung, dann beugte sie sich vor und nahm auch eins der Katzenkinder in den Arm. Es schnurrte und ließ sich von ihr kraulen.
»Welches würdest du nehmen? Das Getigerte oder das Helle dort vorne?«
»Ich würde gar keins haben wollen.« Frederike schnaufte. Der Staub kitzelte in ihrer Nase, das Stroh stach ihr in die Unterschenkel, dennoch hatte sie keine Lust, wieder zurück in das hektische Haus zu gehen. In den Boxen stampften zwei Pferde, streckten die Köpfe neugierig zu ihnen. Hier am Haus waren nur die Reit- und Kutschpferde untergebracht. Das Gestüt war ein Stück weit die Straße herunter. Onkel Erik, den die Kinder schon seit jeher kannten, züchtete Pferde für die Armee, das wusste Frederike. Außerdem betrieb er Landwirtschaft, hatte sie gehört. Was man sich genau darunter vorzustellen hatte, wusste sie jedoch nicht. Schon öfters war die Familie hier zu Besuch gewesen. Auch zu Beginn des Krieges waren sie aufs Land gezogen. Damals, als alles noch anders war, und der Papa, der zwar nicht ihr leiblicher war, aber der Einzige, den sie kannte, noch lebte. Hier hatte die Mutter von seinem Tod erfahren, fast zwei Tage nachdem die Wölfe geheult hatten, denn solange brauchte der Bote bis hierher, trotz Telegramm.
»Fritz!«, rief plötzlich die empörte Leni. »Was machst du denn da? Bist du des Wahnsinns?«
Frederike beugte sich nach rechts, schaute durch die Stalltür zum Teich. Ihr Bruder drehte sich erschrocken um, verlor auf dem schlammigen Grund den Halt, fiel mit fuchtelnden Armen nach hinten und klatschte mit dem Rücken aufs Wasser.
Frederike lachte laut auf, Leni schrie und Fritz kreischte.
»Komm, wir müssen ihm helfen.« Frederike sprang auf, lief zum Teich. Prustend saß ihr Bruder im Wasser, von Schlamm und Entengrütze bedeckt. Er grinste breit.
»Du holst dir den Tod. Komm sofort heraus«, rief Leni. »Wenn das deine Mutter sieht.«
»Das Wasser ist gar nicht so kalt. Wird es dort hinten tiefer? Dann könnte man glatt schwimmen.« Fritz drehte sich auf den Bauch und paddelte ein wenig. »Herrlich ist es. Ganz erfrischend, Leni. Magst du nicht auch reinkommen?«
»Komm sofort da raus, Junge.« Leni stand am Ufer und schaute zu ihm, raffte die Röcke und schien zu überlegen, ob sie hineinwaten solle. »Ich ziehe dir die Ohren lang.«
»Dafür musst du mich erst einmal kriegen.« Fritz lachte.
»Komm jetzt raus.« Die Stimme des Mädchens klang auf einmal flehentlich, sie schaute sich unsicher zum Haus um. »Deine Mutter ... die gnädige Frau ...«
»Nun komm schon«, sagte Frederike und verkniff sich das Lachen. »Mach es Leni nicht noch schwerer. Raus mit dir.«
Fritz stand langsam auf, der Schlamm und das Wasser liefen ihm über den Körper und aus den Beinen der kurzen Hose. Er zuckte zusammen, als ein kleiner Fisch sich zappelnd den Weg nach unten und zurück ins Wasser suchte. Dann stapfte er ans Ufer.
»Mutter wird schimpfen«, sagte Gerta, die sich neben Frederike gestellt hatte. Sie hielt immer noch das Kätzchen im Arm.
»Mit dir auch, wenn du weiterhin den Flohteppich festhältst«, sagte Fritz. Gerta sah ihn entsetzt an, dann ließ sie das Kätzchen fallen. Es miaute erschrocken auf, tapste dann zurück zur Scheune.
Aus der Ferne hörte man den schrillen Ton einer Hupe, gefolgt vom Knattern eines Motors.
»Onkel Erik!« Fritz lief zum Haus. »Schnell, Leni, lass mir ein Bad ein, wir müssen ihn begrüßen.«
»Kannst dich am Brunnen waschen«, rief Leni ihm kopfschüttelnd hinterher.
Gerta strich sich wieder und wieder über das Kleid, kratzte sich am Kopf. »Flöhe?«, murmelte sie entsetzt.
Frederike seufzte. »Flöhe hast du im Kopf, mehr nicht. Komm, lass uns Mutter suchen.«
Die nächsten Tage herrschte Hektik und Chaos im Gutshaus, aber seit Erik da war, beruhigte sich zumindest die Mutter. Frederike dagegen konnte sich nicht so schnell eingewöhnen. Sie teilte kein Zimmer mehr mit Gerta. Zuerst hatte ihr der Gedanke sehr gefallen, ein eigenes Zimmer zu haben. Aber hier, auf dem riesigen Gutshof, fühlte sie sich verloren und einsam. Vorletzte Nacht hatte sich ihre kleine Schwester heimlich zu ihr geschlichen. Kuschelig und warm war es unter dem großen Plumeau, sie hatten geflüstert und gekichert und waren dann Arm in Arm eingeschlafen.
Aber am Morgen danach war nicht Leni zum Wecken gekommen, sondern die Mamsell. Missbilligend hatte sie die Mädchen angesehen. Nach dem Frühstück dann hatte Onkel Erik sie zu sich gerufen.
»Freddy, Gerta, ich hoffe, ihr habt euch schon an das neue Zuhause gewöhnt«, sagte er freundlich.
»Ja, Onkel Erik«, sagte Gerta. Frederike schwieg.
»Nun, die Mamsell hat mir gesagt, dass ihr zusammen in einem Bett geschlafen habt. Stimmt das?«
Die beiden Mädchen sahen sich verwirrt an und dann nickten sie.
»Seht ihr, wir haben ein großes Haus, das viel zu lange leer gestanden hat. Und nun soll das anders werden, meine Täubchen. Hier wird jetzt die Familie leben, wir alle zusammen. Aber es müssen gewisse Regeln eingehalten werden. Dazu gehört auch, dass ihr nicht wie die Bauerskinder in einem Bett schlaft. Ich weiß«, er nickte, »ihr hattet bis jetzt ein turbulentes Leben. Der Tod eures Vaters, der Krieg und so weiter und so weiter. Aber nun ist es anders. Nun leben wir hier als eine Familie und können zur Ruhe kommen. Aber es gibt bestimmte Regeln zu beachten.« Er lächelte ihnen zu, trank einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. »Ich möchte, dass ihr euch fügt und euch wie Gutsherrenkinder benehmt und nicht wie Leute.« Er sah sie voller Erwartungen an.
Frederike und Gerta nickten, obwohl sie nicht wirklich verstanden, was er von ihnen wollte.
»Ich sehe, ihr versteht mich«, sagte er zufrieden. »Gut, dann bitte verhaltet euch entsprechend. Und jetzt dürft ihr gehen.«
Am nächsten Abend schlich Frederike, die nicht schlafen konnte, die Treppen hinunter, hockte sich in der Diele auf einen der Sessel vor dem Salon und lauschte Mutter und Stiefvater. Hektor war ihr gefolgt und legte sich zu ihren Füßen.
»Wir müssen eine Gesellschaft geben, Erik«, sagte die Mutter. »Schon alleine, um unsere Hochzeit nachzufeiern.«
»Liegt dir viel daran?« Er klang amüsiert.
»Nein. Nicht so, wie du es jetzt meinst. Aber wir müssen die Nachbarn einladen, es offiziell machen, das verstehst du doch?«
»Vermutlich hast du recht«, sagte er nachdenklich. »Jedoch ... nun, du wirst das mit der Mamsell besprechen müssen.« Er räusperte sich.
»Mit der Mamsell, natürlich.« Mutters Stimme klang auf einmal gar nicht mehr vergnügt. »Ich glaube, die Mamsell und ich werden keine engen Freunde werden.«
Wieder räusperte sich Onkel Erik. »Sie steht dem Haushalt schon lange vor. Seit dem Tod meiner Mutter hat sie alles alleine bewältigt, denn Edeltraut mag sich ja nicht mit solchen Sachen befassen.«
Tante Edeltraut war Onkel Eriks unverheiratete Schwester, die mit auf dem Gut lebte. Ihr Verlobter war im Krieg gefallen, seitdem trug sie Trauer. Meistens saß sie auf der Veranda und strickte, stickte oder versah andere Tätigkeiten.
»Ich weiß, Erik. Aber nun bin ich da. Und ich werde diesen Haushalt auf meine Weise führen«, antwortete die Mutter fest.
»Es ist wirklich schwer, vernünftiges Personal zu bekommen.« Onkel Erik klang etwas mürrisch.
»Was genau möchtest du mir damit sagen?«
»Nun, ich möchte, dass du versuchst, mit der Mamsell auszukommen. Sie hat sich bei mir auch über die Kinder beklagt. Freddy und Gerta haben zusammen in einem Bett geschlafen, das gehört sich nicht.«
Frederike zuckte zusammen. Würden sie jetzt Ärger bekommen?
»Papperlapapp. Und wenn schon? Sie haben sich in Potsdam ein Zimmer geteilt. Hier ist alles neu für sie, sie brauchen Zeit, um sich einzugewöhnen.« Die Mutter stockte, dann fuhr sie langsamer fort: »Aber was meinst du mit auch? Worüber hat die Mamsell noch mit dir gesprochen?«
Wieder räusperte sich Onkel Erik. »Ich weiß, ihr seid erst ein paar Tage hier und vieles ist neu für euch ...«
»Ja?«
»Wir haben gewisse Regeln, einen Tagesablauf, den die Leute so kennen und auch so weiterführen möchten.«
»Ja?« Frederike konnte die Anspannung in der Stimme ihrer Mutter hören.
»Zum Beispiel stehen wir immer um halb sieben auf. Ich halte um sieben vor dem Hauspersonal, der Familie und eventuellen Besuchern eine kleine Andacht, jeden Morgen. Danach gibt es das erste Frühstück.«
»Ist das so? Und alle haben teilzunehmen?«
»Genau, Liebes. Es wäre schön, auch für das Personal – unsere Leute, wenn wir das weiterhin so halten könnten.«
»Nun gut. Was gibt es sonst noch?«
»Der Hauslehrer hat sich für morgen angekündigt. Er ist ein gebildeter Mann, allerdings ein Kriegsveteran.«
»Das ist gut, dann haben die Kinder auch endlich wieder Struktur in ihrem Tagesablauf.«
»Und zu der Gesellschaft – das musst du mit der Mamsell besprechen, genauso wie die tägliche Haushaltsführung. Am besten nach dem ersten Frühstück, wenn ich mich mit dem Inspektor treffe.«
»Erik, ich weiß, wie man einen Haushalt führt.«
»Sicher, sicher, Liebes, aber ein Gut ist doch etwas anderes als dein kleiner Stadthaushalt in Potsdam. Die Mamsell meint es sicher nur gut und wird dir helfen, dich besser zurechtzufinden.«
»Wie du meinst ...«
»Freddy?«, zischte es plötzlich hinter ihr in der Diele. »Was zum Kuckuck machst du denn hier?«, fragte Leni. »Du gehst sofort nach oben und in dein Bett. Das ist ja ungehörig, hier im Dunkeln den Erwachsenen zu lauschen, wo hat man so etwas schon gesehen?«
Frederike raffte ihr Nachhemd und lief, so leise es ging, die Treppe hoch in ihr Zimmer. Hatten Mama und Onkel Erik Streit wegen der Mamsell, fragte sie sich, bevor sie einschlief. Und was würde aus der Gesellschaft werden? Sie hoffte, dass die Mutter sich durchsetzen würde. Eine Gesellschaft – wie traumhaft und aufregend.
CHAPTER 2Am folgenden Morgen weckte das Mädchen die Kinder in aller Frühe.
»Wie spät ist es denn?«, fragte Frederike verschlafen.
»Gleich sechs. Beeil dich, wasch dich und zieh dich an. Um sieben hält der gnädige Herr die Morgenandacht.« Leni zog die Vorhänge beiseite und öffnete das Fenster.
»Um sieben?« Frederike war entsetzt. »So früh?«
»Das ist hier so üblich. In der Erntezeit sogar noch ein wenig früher.«
Ach ja, dachte Frederike, das hatte Onkel Erik gestern Abend mit Mutter besprochen. »Ich fürchte, einige Dinge werden sich von nun an gründlich ändern«, murmelte Leni.
Die Leute, so nannten sie hier die Angestellten, hatten sich schon im kleinen Salon versammelt. Auch Mutter, ihre Geschwister und Tante Edeltraut waren da. Fritz hatte die Haare nicht gekämmt und sah so verschlafen aus, wie Frederike sich fühlte.
Onkel Erik las die Tageslosung vor und ein Kapitel aus der Lesung, dann durften sie zum Frühstück gehen. Es gab eine Scheibe Brot mit Wurst, Malzkaffee für die Kinder, Kaffee für die Erwachsenen und etwas Milchsuppe.
Im Anschluss ging Onkel Erik in sein Büro, wo der Verwalter des Guts schon wartete, und die Mutter nahm das Haushaltsbuch aus der Schublade und ließ die Mamsell zu sich rufen.
»Wann kommt der Hauslehrer?«, fragte Fritz Gerulis, den ersten Hausdiener.
»Mit dem ersten Zug soll er kommen. Hans hat schon angespannt und fährt gleich zum Bahnhof.«
»Darf ich mit?«, fragte Fritz aufgeregt.
»Nur, wenn du dir die Haare kämmst«, entgegnete Leni. Sie schaute zu Gerulis, dieser nickte.
»Warum nicht? So lernst du die Gegend auch gleich besser kennen.«
»Dürfen wir auch mit?«, wollte Gerta wissen.
Doch zu ihrer und Frederikes Enttäuschung schüttelte das Kindermädchen den Kopf. »Das ist nichts für euch junge Damen. Aber ihr dürft in die Küche gehen, wenn ihr wollt.«
Gerta nickte eifrig. Bisher waren sie noch nicht im Souterrain gewesen.
Sie gingen die Treppe hinunter und durch den Gang. Vorne waren die Kellerräume, wo Wein und Vorräte gelagert wurden. Nach hinten raus fiel das Grundstück etwas ab, so dass die Küche durch große Fenster erhellt wurde. Rechts gab es den Gesinderaum mit einem großen Tisch, an dem die unverheirateten Arbeiter des Gutes ihre Mahlzeiten bekamen.
(Continues...)
Excerpted from Das Lied der Störche by Ulrike Renk. Copyright © 2017 Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin. Excerpted by permission of Aufbau Digital.
All rights reserved. No part of this excerpt may be reproduced or reprinted without permission in writing from the publisher.
Excerpts are provided by Dial-A-Book Inc. solely for the personal use of visitors to this web site.
Table of Contents
Contents
Informationen zum Buch,Teil Eins: Ostpreußen, Gut Fennhusen, 1920,
Teil Zwei: Ostpreußen, Gut Fennhusen, 1928,
Nachwort,
Danksagung,
Über Ulrike Renk,
Impressum,
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne ...,